Paarkrise nach der Geburt?

Warum ihr euren Konflikten eine ganz besondere Beachtung schenken solltet

Euer langersehnter Nachwuchs ist endlich da. Und eigentlich solltet ihr jetzt überglücklich sein. Doch irgendwie ist alles anders, als Du es Dir vorstellt hast. Und eure Beziehung scheint seit der Geburt auch in einer Krise zu sein. Ständig streitet ihr wegen Kleinigkeiten. Paarkrise nach der Geburt.

In diesem Beitrag geht es darum, warum die Veränderungen, die mit der Geburt eines Kindes einhergehen, ein Paar in eine Krise stürzen können und warum ihr eure Konflikte nicht unterdrücken, sondern ihnen eine ganz besondere Beachtung schenken solltet. Paarkrise nach der Geburt.

Vom rosaroten Blick aufs Elternsein ...

Bevor wir Eltern werden bestimmt häufig ein Blick durch die rosarote Brille unsere Vorstellungen.  „Unverwundbarkeitsillusion“ nennt die Wissenschaftlerin Dr. Barbara Reichle das. Eine Illusion, die wir im Vorfeld der Elternschaft aufbauen, damit wir uns überhaupt trauen, eine Familie zu gründen. 

Ich kann mich noch gut an diese Zeit erinnern. Eine Zeit voller Glück, Vorfreude und Spannung, wie mein Leben wohl ein halbes Jahr später aussehen würde. Mein Partner und ich genossen ausgiebig unsere verbliebene Zeit zu zweit, denn von allen Seiten wurde an uns herangetragen, dass ein Kind alles verändern würde. Wie genau das aussehen könnte, lag damals noch außerhalb unserer Vorstellungskraft und ausserdem waren wir uns sicher: "Bei uns wird das eh gaaaanz anders."

... und dem Ankommen in der Realität

Nun wissen wir, wie alle Eltern, dass das nur ein Ausschnitt der Realität ist. Hinzu kommen für viele:

  • Dauermüdigkeit
  • Überforderung, weil wir ständig in Rufbereitschaft sind
  • ein stundenlang schreiendes Baby
  • viel zu wenig Zeit für Zweisamkeit
  • kaum eine Minute mehr für euch allein, Freunde oder Hobbys
  • Selbstzweifel, weil wir das Gefühl haben, der Elternrolle nicht gewachsen zu sein
  • ...

Wir sind vor allem Eltern, ein wenig Paar und kaum mehr Individuen.

In der Wissenschaft ist gut erforscht, dass die Veränderungen, die Kinder mit sich bringen, eine große Herausforderung für jede Partnerschaft sind (1). Laut einer LBS-Familienstudie steigen im Zeitraum vom letzten Schwangerschaftsdrittel bis drei Jahren nach der Geburt steigen Streitigkeiten bei Ersteltern an, während Zärtlichkeit und partnerschaftliche Kommunikation drastisch abfallen (2).

Gründe für Streitigkeiten in dieser Zeit gibt es viele: von der Aufgabenverteilung, über unterschiedliche Erziehungsvorstellungen oder unterschiedliche Ansichten bezüglich der Rolle als Vater oder Mutter. Vielleicht ist einer der Partner frustriert, weil er sich zugunsten des Kind vernachlässigt fühlt. Und das Sexleben scheint auch nie mehr so zu werden, wie es vor dem Kind war.

Unsere Gefühle sind unser Wegweiser

Mit den Streitigkeiten gehen Gefühle wie Angst, Frustration oder Zweifel einher. Vielleicht quälen uns Gedanken wie: "Warum schaffen wir es nicht einfach glücklich zu sein (wie alle anderen Eltern)?", "Warum verstehen wir uns nicht mehr?", "Was machen wir falsch?" oder "Ich habe Angst, dass wir uns trennen".

Tatsächlich ist es schwer, mit diesen Gefühlen und Gedanken umzugehen, wenn wir dem Bild der "immer glücklichen Familie" nacheifern, bei der alles funktioniert.

Wenn wir uns aber bewusst machen, dass sich mit der Geburt unseres Kindes wahnsinnig viel verändert hat in unserem Leben, als Individuen, aber auch als Partner, können wir vielleicht besser akzeptieren, dass die Umstellung nicht reibungslos an uns vorbeigeht.

Es muss vieles verhandelt und verändert werden, solange, bis es sich für alle Beteiligten wieder gut anfühlt. So gilt es beispielsweise die Aufgabenverteilung zwischen euch neu zu definieren und Grenzen neu abzustecken. Und bevor das geschehen kann, muss sich jeder von euch klar sein, was er selbst braucht, um sich mit der neuen Situation gut zu fühlen.

Gefühle von Wut und Frust geben euch dabei ganz wichtige Informationen - und zwar darüber, was ihr gerade am meisten braucht. Sie verraten enorm viel über eure Bedürfnisse und worüber ihr in Zukunft mit eurem Partner verhandeln müsst.

 

Wenn Konfliktsignale von Menschen gut erkannt werden, können Sie zu Geburtshelfern der Entwicklung werden. (F. Glasl, Konfliktforscher)

 

Wichtig ist daher nicht, dass ihr keine Konflikte oder negativen Gefühle habt, sondern dass ihr lernt,

  1. auf eure Bedürfnisse zu hören
  2. diese so auszudrücken, dass euer Partner darauf reagieren kann
  3. gemeinsam eine Lösung auszuhandeln, die die Bedürfnissen von euch beiden berücksichtigt.

Bleibt in Kontakt miteinander

Wenn eure Beziehung momentan nicht viel mit dem von der Werbeindustrie suggerierten Familienglück gemein hat, versucht zu erforschen, welche eurer Bedürfnisse gerade nicht erfüllt sind.

Habt ein wenig Nachsicht mit euch und eurem Partner und nehmt es nicht persönlich, wenn ihr euch gelegentlich unter Stress mal anzickt. Ihr habt beide kaum eine Minute für euch, viel zu wenig Schlaf, zu wenig Zeit für Zweisamkeit, zu wenig Zeit für Freunde und Hobbys und seid wahrscheinlich häufig ziemlich unausgeglichen. Da kann es schon mal vorkommen, dass ihr euch im Ton vergreift - vorausgesetzt natürlich, dass das nicht zur Gewohnheit wird und ihr euch sonst mit Respekt und Wohlwollen behandelt.

Und achtet darauf, dass euer Gesprächsfaden nicht abreißt. Bleibt in Kontakt miteinander, versucht euch so oft wie möglich Zeit für euch beide zu nehmen, um darüber zu sprechen, wie es euch geht, was ihr euch vom anderen wünscht oder worüber ihr euch Gedanken macht. Wenn ihr in stetem Austausch und Kontakt seid, könnt ihr euch besser unterstützen und bekommt auch mehr Verständnis vom und für den anderen.

Fußnoten:

(1) Tillmetz, Eva: Balanceakt Familiengründung, KlettCotta 2014, S. 37.

(2) Fthenakis, Wassilios E.; Kalicki, Bernhard; Peitz, Gabriele: Paare werden Eltern. Die Ergebnisse der LBS-Famlienstudie, Opladen : Leske + Budrich, 2002, S. 85ff.

Wenn ihr ...

  • das Gefühl habt, dass eure Krise schon zu lange andauert und ihr nur noch streitet
  • euch vielleicht schon gegenseitig mit Worten verletzt
  • schon einiges versucht habt, aber nicht weiterkommt
  • kaum mehr vernünftige Gespräche miteinander führen könnt, ohne dass es zu Vorwürfen oder Missverständnissen kommt
  • beide oder auch einer von euch sich immer mehr zurückzieht, emotional und auch körperlich,

... dann kann es sinnvoll sein, eine dritte, neutrale Person dazu zuziehen.